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Immer Ärger mit dem Ärger

  • Vor der Nase wird dir der Parkplatz weggeschnappt! - Du ärgerst dich.
  • Es schüttet wie aus Eimern. Dein Plan für den Ausflug ist geplatzt. - Du ärgerst dich.
  • Dein Partner/deine Partnerin, dein Kind, deine Mutter/dein Vater, dein Chef/deine Chefin … schimpft über irgendetwas, das du „verbockt“ hast. - Du bist gekränkt, denn es war nicht deine Schuld. - Aber du ärgerst dich. Etwas klappt nicht, wie du wolltest. - Du ärgerst dich.

Und weil du dich ärgerst, ärgerst du dich gleich noch viel mehr. Verändert sich etwas, wenn du dich ärgerst? Oder versinkst du eher im Selbstmitleid: "Immer ich. Warum ich? …"

 

Ärger ist eine Emotion. Nicht mehr und nicht weniger. Allerdings wird Ärger in unserer Kultur und Gesellschaft negativ bewertet. Ärger ist unerwünscht. Wir ärgern uns, wenn wir in irgendeiner Weise beeinträchtigt werden oder uns beeinträchtigt fühlen. Häufig verhindert allerdings dieser Ärger, dass wir produktiv und kreativ eine Lösung für das bestehende Problem finden.

 

Der Ärger kann ein Impuls sein, um etwas zu verändern. Wenn wir uns ärgern, heißt das: Da stimmt etwas für mich nicht. - Also stehen wir für uns selbst ein und finden heraus, was nicht stimmt und verändern es.

 

Aber wir haben gelernt, dass Ärger nicht erwünscht ist. Wir trauen uns sehr oft nicht, unsere Bedürfnisse, Wünsche und Anliegen klar und deutlich zu formulieren. Wir reden uns gut zu: „Ach. Das ist doch nur eine Kleinigkeit. Da mache ich keinen Aufstand!“ - Aber wir ärgern uns. Solange es ein „kleiner“ Ärger ist, könnten wir das gleich direkt - auch humorvoll - ansprechen. Wenn es dann ein „großer“ Ärger ist, wird es zunehmend schwieriger.

 

Der Ärger hat die Aufgabe, deine Identität und Integrität zu schützen, also: deine Grenzen zu wahren. Wenn du dich ärgerst, bedeutet das, dass deine Grenzen verletzt oder überschritten werden. Der andere bemerkt das vielleicht gar nicht. Oder kann es gar nicht wissen, weil du deine Grenzen nicht klar gezogen und gezeigt hast. 

 

Wenn wir uns in Ärger verbeißen, kann unter Umständen dadurch eine Beziehung zerbrechen. Im Ärger sind wir vielleicht böse und werfen dem anderen Dinge an den Kopf, die wir besser so nicht gesagt hätten. Ein Wort gibt das andere. Dein Ärger steckt das Gegenüber an - und sein Ärger wieder dich. Ein Teufelskreis. Dann hilft erst einmal Abstand. Aus dem Streit, dem Ärger aussteigen. Das berühmte bis „Zehn zählen“ oder eine Runde um den Block zu laufen kann schon helfen, diesen Abstand zu finden.

 

 

 

Rachephantasien

Werden wir richtig tief verletzt, wollen wir, dass der andere genau so leidet, wie wir gerade leiden. Wir ergehen uns in detaillierten Vorstellungen, was wir dem anderen antun wollen. Solange diese Phantasien nicht ausgeführt und in Realität umgesetzt werden, können diese Vorstellungen sogar zu einer Entlastung des eigenen Selbstwerts beitragen. (Wenn wir uns allerdings wieder nur selbst abwerten, dass wir überhaupt solche „bösen“ Phantasien haben, kommen wir aus der Abwertungsspirale nicht heraus!) 


Was hilft also?

Mitgefühl und Abstand hilft! - Mit sich selbst UND dem anderen! - Emotionen sind ansteckend.

Wenn jemand sehr wütend ist, werde ich auch wütend. - Aus dieser Emotion heraus ist es schwierig(er), in das Mitgefühl zu kommen.

 

Daher ist der erste Schritt: Abstand.

  1. Sich distanzieren, ohne die Emotion abwehren zu müssen oder zu wollen.
  2. Die eigene Emotion regulieren. 
    Einen Schritt zurücktreten
    Reflektieren: Was fühle ich gerade? und: Was fühlt der andere gerade?
    Die Emotionen benennen. zB „ich bin wütend“, „gekränkt“, …
  3. Sich selbst von Außen betrachten mit einem liebevollen Blick (keine Selbstabwertung oder Selbstverurteilung!!!)
  4. Erregung, Aufregung kann sinken und damit ist wieder Zugang zu Mitgefühl und Kreativität möglich.

Ärger schafft Freiraum! 

 

Wut und Zorn sind unterschiedliche Qualitäten des Ärger. Veränderung ist (noch) möglich!

Ärger kann also zu kreativen Veränderungen führen.

 

Allerdings kann auch Ärger auch Hass werden! Hass ist im Gegensatz zu Ärger verbunden mit Zerstörungswut. Man glaubt nicht, dass man überhaupt noch etwas verändern kann. Veränderung durch Zerstörung oder Demütigung ist keine kreative Lösung!

 

Aber auch Hass, Aggression, Destruktivität gehören zum Menschen. Es geht darum, wie wir als Person und als Gesellschaft damit umgehen wollen. Kinder zerstören Dinge, sie entwickeln dann Schuldgefühle und wollen es wieder „gut machen“. Damit wird aus Hass Liebe - eine konstruktive Dynamik. Problematisch wird es, wenn es zur Spaltung kommt. Die anderen und wir. - Die anderen sind die Bösen, wir die Guten. Da kennen wir genug Beispiele aus der Geschichte und dem Leben!

 

Worauf ich mit diesem Impuls hinaus will ist, dass es nicht darum geht, sogenannte „negative“ Emotionen als negativ und unerwünscht zu bewerten. Sondern sie als das zu verstehen, was sie sind: menschliche Emotionen.

 

Das, was wir daraus machen, wie wir diese interpretieren und bewerten, bestimmt, wie wir damit umgehen. 

Wir definieren die Werte unseres Miteinander. Dazu müssen wir auch uns selbst wahrnehmen und erkennen. Mit den eigenen Quellen der Angst, des Ärgers, der Wut, des Zorns und des Hasses. Und auch mit den Quellen der Freude, des Wohlwollens (auch uns uns selbst gegenüber!), der Schönheit und der Sehnsucht nach Verbundenheit. Das bedeutet: Zu sich selbst stehen. Mit all den Emotionen!

 

Stärke kommt aus dem Vertrauen - auch in sich selbst -, nicht aus dem Zerstören!

 

 

 

 

 

Inspiriert zu diesem Beitrag hat mich ein Vortrag von Prof. Dr. Verena Kast zum Thema  „Ärger und Hass“

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Kommentare: 1
  • #1

    Nora (Dienstag, 04 Oktober 2022 13:14)

    Sehr hilfreich und tröstlich, danke!